Ich sehe meine Kuh nicht mehr!

So, endlich komm ich auch mal wieder dazu, einen Artikel zu schreiben. Der Grund, warum ich mich so lange nicht mehr gemeldet habe, ist, dass ich ab Anfang Januar circa zwei Wochen reisen war (dazu lade ich euch auch noch Bilder hoch), dann Zwischenseminar hatte und nach zwei Tagen zuhause direkt mit der Brillenkampagne weitergemacht habe.

Über diese 10 Tage Kampagnenarbeit soll es in diesem Bericht gehen. Das Projekt, das hier in Bolivien von meiner Partnerorganisation Hostelling International Bolivia getragen wird, heißt Lentes al instante (übersetzt: „Sofort-Brillen“; OneDollarGlasses). Die Idee hinter dem Ganzen, nämlich gute Brillen aus chirurgischem Stahl und manuell einsetzbaren Gläsern für verhältnismäßig wenig Geld herzustellen, kommt von einem deutschen Physiker namens Dr. Martin Aufmuth. Ziel des Projekts „OneDollarGlasses“ ist es, dass sich auch Leute ohne viel Geld eine Brille, die sie maximal 2-3 Tagelöhne kosten wird, leisten können.

Um die Brillen hier in Bolivien für 80 Bolivianos (ca. 11 Euro) verkaufen zu können, lassen wir die Gläser in China produzieren. Die Herstellung der Gestelle allerdings ist in Santa Cruz, wo sie von zwei Männern und vier Frauen per Hand gebogen werden.

Lentes al instante hat keinen festen Standort, sondern ist in Form von Kampagnen immer an verschiedenen Orten vertreten, hauptächlich in großen Städten.

Zwei Mitfreiwillige sind ständige Mitarbeiter dieses Projekts, so wie der Neffe von Don Arturo, dem Hostelling-Chef, und Pati, eine Bolivianerin. Dieses Team wird meistens von Freiwlligen am Ort der Kampagne ergänzt.

Da ich diese Arbeit als sehr sinnvoll ansehe, weil mit relativ wenig Aufwand sofort ein „Erfolg“ zu sehen ist, haben Ariane und ich in der letzten Kampagne in Sucre mitgeholfen. Die Räume dafür bekamen wir vom bolivianischen Roten Kreuz gestellt. Täglich haben wir bei über 100 Personen mit Sehproblemen die Brillenstärke ohne technische Apparaturen gemessen. Einmal wurde uns dies so geschildert: „Ich sehe meine Kuh nicht mehr …“. Personen unter 18 und über 60 haben ihre Brille gratis bekommen.

Ich glaube, das war bis jetzt die anstrengendste Arbeit, die ich in Bolivien gemacht habe. Zum einen sind ältere Personen, die häufig nur die indigene Sprache Quechua und nicht Spanisch sprechen oder einfach nur sehr schlecht hören, nicht gerade die einfachsten Patienten, da wir ohne Apparate messen und  bei unseren Messungen voll auf die Aussagen der Patienten vertrauen müssen. Zum anderen ist es nicht einfach mit anzusehen, wie teilsweise 10-jährige Kinder, die extrem schlecht sehen können, noch nie einen Augenarzt besucht haben.

Obwohl wir wirklich sehr vielen Menschen helfen konnten und es mich selbst immer so glücklich macht, wenn Leute sich ihre neue Brille aufsetzen und im gleichen Augenblick beide Mundwinkel zwei Zentimeter nach oben wandern, bin ich auch öfters in die unangenehme Situation gekommen, nicht helfen zu können. Unsere Brillen helfen nämlich nur bei Weit- oder Kurzsichtigkeit, nicht aber bei Menschen mit grauem Star, Hornhautverkrümmung etc. Diese Menschen müssten eigentlich von einem Augenarzt untersucht und behandelt werden. Gerade für ältere Menschen waren wir häufig so etwas wie die letzte Hoffnung, für wenig bzw. gar kein Geld besser sehen zu können, da sie sich meistens keinen Augenarzt leisten können.

Aber insgesamt hat die große Dankbarkeit alle Anstrengung und jeden gekosteten Nerv wettgemacht. Es war schön, in unserem Kommentare-Buch folgende Sätze lesen zu können: Muchíssimas gracias por ayudarnos para leer mejor gracias mil gracias a la fundación H.I.B y la Cruz Roja („Vielen vielen Dank für die Hilfe, besser lesen zu können, danke tausend Dank an H.I.B und das Rote Kreuz““ oder auch Me agradaría hacerme medir todos los días muy bellas las doctoras („Es würde mir gefallen, mich jeden Tag messen zu lassen, so hübsche Doktorinnen“). Komplimente machen, das können sie :D!

Neben der Arbeit im Roten Kreuz waren wir auch einen Nachmittag im Altersheim, wo unser eher gering ausgeprägtes Brillenvokabular auf Quechua nochmals ordentlich getestet wurde, und in einer Kindereinrichtung.

Ganz zur Freude von Ariane und mir ging es direkt nach der Sucre-Kampagne nach Sopachuy, meinem Einsatzort! Dort haben wir in einem kleinen Raum des Krankenhauses unser Projekt fortgesetzt, sozusagen als Premiere in einem Minidorf.

In drei Tagen in Sopachuy selbst und einem Tag in einem noch kleineren Dorf, Amancaya, haben wir insgesamt circa 400 Brillen verkauft bzw. verschenkt. Das Schöne war, auch uns vorher schon bekannten Gesichtern helfen zu können. Und mittlerweile verstehen wir sogar auch etwas mehr Quechua :); und wenn nicht, gab es immer jede Menge hilfsbereite Personen, die für uns Übersetzer gespielt haben.

Und zu guter Letzt ein schöner Ausblick: Da die Brillenkampagne in unserem Dorf auf so große Resonanz gestoßen ist, führen wir Freiwilligen jeden Freitag das Projekt weiter!

Ich hoffe, es geht euch allen gut und ihr hattet eine schöne Fasnet.

Liebe Grüße und bis bald 😉

Ann-Sophie

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