Dieser Eintrag wird ein ziemlich bunter –
so bunt, wie die Zeit hier und die Erlebnisse! Mittlerweile haben wir uns sehr gut eingelebt in unserem neuen Zuhause, das Haus und der Garten sind einfach purer Luxus, was leider auch (als einziger Makel) diverse kleine oder größere Tiere so empfinden … Deshalb zählen wir jetzt auch Skorpione, Spinnen, „Urzeitviecher“ und ab und zu auch eine kleine Schlange zu unseren Mitbewohnern.
Außerdem war ich das erste Mal außerhalb des Departementos Chuquisaca: Marlene (eine andere Freiwillige) aus Tarabuco und ich haben uns frei genommen und sind für zwei Tage nach Tarija in den Süden Boliviens gefahren. In Deutschland wäre ich zwar nie auf die Idee gekommen, dafür 30 von 72 Stunden Reisezeit in der Flota (Bus) zu verbringen, aber die Uhr tickt hier sowieso ein bisschen anders 😉 Nach der Nachtfahrt von Sucre aus endlich angekommen, waren wir damit beschäftigt, unser heiß geliebtes Hostel ‚Kultur Berlin‘, das es auch in Tarija geben sollte, zu finden. Leider hat uns das ziemlich viel Zeit gekostet, sodass das Geräusch der knurrenden Mägen immer lauter wurde… Dies sollte aber bald durch ein bombastisches Frühstück mit sogar dunklem Brot kompensiert werden. Nur leider gab es in diesem Hostel dann keine freien Betten mehr, genauso wie in den anderen Hostels unserer Preisklasse. Doch nicht verzagen, denn wir sind in Bolivien: die Vermieterin vom ‚Kultur Berlin‘ hat noch ein Privathaus in Tarija, sie ist derzeit jedoch in Sucre. Uns wurde angeboten, deshalb in ihrem leerstehenden Haus zu übernachten … Hammer, oder? Die ‚Aufpasserin‘ dieses Hauses war auch super lieb und gastfreundlich zu uns … Nachdem wir uns ein bisschen ausgeruht hatten, ging es los, die Stadt zu erkunden. Tarija an sich ist vom Klima her heiß – und sehr modern, sowohl von den Häusern her als auch von den Preisen und Leuten. So gut wie keine Menschen tragen Poleras (eine Art Pulli) oder ihre Babys in bunten Tragetüchern. Ein Mann hat uns gleich beim Abendessen erzählt, dass sich die Tarija-Einwohner viel mehr Argentinien als Bolivien zugehörig fühlen, den Grund hab ich leider auch nicht ganz verstanden.
Tarija ist auch bekannt für seine Wein- und Singaniproduktion. Deshalb machten wir uns am zweiten Tag auf den Weg in das Valle, eine Gegend etwas außerhalb von Tarija, wo die Winzereien sind. Mit dem Auftrag eines Krankenhaus-Kollegen, fünf Liter Wein mitzubringen, sind wir in die ‚Casa Vieja‘ gegangen, um eine Weinprobe zu machen. Mit einem Kanister Wein und dem Wissen, dass es auch teureren als unseren 20 Bolis (= etwa 3 Euro)-Singani (eine Art Weinbrand) gibt, ging es eingequetscht zu zwölft in einem normalen Auto (kein Kleinbus) zurück nach Tarija.
Mein Vorhaben, euch mehr von meiner Arbeit im Krankenhaus zu berichten, damit z. B. auch mein/e Nachfolger/in einen guten Einblick bekommen kann, hab ich leider nicht ganz erfüllt. Vielleicht liegt das daran, dass es mittlerweile zu meinem Alltag inmitten einer zweiten Familie geworden ist.
Abgesehen davon, dass ich mich wohl fühle, weil einfach alle total nett zu mir sind und mich als Teil des Teams behandeln, habe ich auch so gut wie immer eine Aufgabe. Jetzt, wenn keine Krankenschwester-Auszubildenden da sind, bin ich meistens allein im Vitalzeichen-Nehmen, und die Leute zählen auf mich. Obwohl diese Arbeit nicht gerade die abwechslungsreichste ist, mach ich sie gerne. Auch andere Aufgaben der Krankenschwestern darf ich übernehmen. An Tagen, an den nicht so viele Leute da sind, war ich in letzter Zeit öfters mal in der krankenhauseigenen Apotheke, um Medikamente zu zählen oder Rezepte einzulesen. Ansonsten bin ich gerne in der Emergencias (Notfallaufnahme), um Wunden etc. verarzten zu helfen. Es kommt vor allem darauf an, nicht zu warten, bis jemand mit einer Aufgabe auf mich zukommt, sondern Eigeninitiative ist gefragt. Eine Nachtschicht hab ich auch schon mal mitgemacht, jedoch kam in der ganzen Zeit kein einziger Patient, sodass wir uns mit Unterhalten, Coca-Kauen und Kompressenfalten beschäftigten.
Eigentlich wollte ich noch über Weihnachten schreiben, aber das verdient einen eigenen Eintrag.
Zum Abschluss wollte ich noch ein bisschen meine Gedanken schweifen lassen, was ich in letzter Zeit öfters tue. Über das Jahr, meine Ziele, hier etwas zu verwirklichen, mich selbst beobachtend (oder zumindest Versuche davon), die Zeit nach dem Jahr… Es gibt so viele Sachen, über die man nachdenken kann. Ich finde, ein Jahr nach Bolivien zu gehen, war bis jetzt die beste Entscheidung meines Lebens. Dabei ist es ganz normal, dass man sich erst Mal eine gewisse Zeit einleben muss. Aber jetzt bin ich so froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Schon jetzt habe ich einen ganzen Koffer voll Dingen von den Leuten und meinen Freunden hier gelernt, die mehr wiegen als alles andere. Herzlichkeit und Lebensfreude. Allein diese Offenheit, die uns entgegengebracht wird, ist schon enorm. Sich darüber zu freuen, anderen Leuten etwas anbieten zu können, egal, wer diese Person ist. Spontanität und ein gewisses Maß an Entspanntheit. Leben auch ohne diverse Luxusgüter. Klar, ein Freiwilliger sagt das alles auch nochmal leichter, als eine Person, die mit fast Nichts das tägliche Leben bestreiten muss. Wir sind trotz allem sehr privilegiert hier. Aber allein mitzubekommen, wie Menschen in einem ganz anderen Land leben, erweitert meinen Horizont!
Auch dass wir hier unser Leben ganz allein meistern müssen, sprich ohne Eltern oder gewohnte Strukturen, gibt ein Gefühl von Freiheit und tagtäglich lerne ich dazu!
Ich hoffe sehr, dass ich nach dem Jahr, falls mich mal wieder der Stress überkommen sollte, mich wieder in die Zeit hier zurückversetze und die Welt als Ganzes mit all seinen verschiedenen ‚Erdenbürgen‘ und ihrer Art, das Leben zu meistern, sehe, wodurch das eigene Problem gleich viel kleiner wird.
Ein kleiner Ausschnitt aus meinen Gedanken, bestimmt etwas ungeordnet, aber ich denke, ein bisschen was könnt ihr euch darunter vorstellen 🙂
Alles Liebe,
Ann-Sophie